“Immer nur am Ende draufhauen”
Der Kabarettist Georg Schramm spricht erstmals darüber, warum er den ARD-”Scheibenwischer” verlässt.

Frühstück mit dem Kabarettisten Georg Schramm im Landhotel „Alte Post“ in Müllheim/Baden. Tags zuvor ist Schramm im Freiburger Vorderhaus mit seinem Solo-Programm „Thomas Bernhard hätte geschossen“ aufgetreten. Die Vorstellung war seit Monaten ausverkauft. Später wird er nach Donaueschingen fahren und dort den Lothar Dombrowski, den Oberstleutnant Sanftleben und den Sozialdemokraten August geben. Jetzt, bei Milchkaffee und Apfelschorle, äußert sich Schramm erstmals über seinen Ausstieg aus der ARD-Sendung „Scheibenwischer“.
 
Herr Schramm, wieso verlassen Sie den Scheibenwischer?
Jetzt, wo die Sendezeit des Scheibenwischer um 15 Minuten verlängert wird, hätte es mir gut gefallen, wenn man das bisherige, doch recht starre Schema durchbrochen hätte.
 
Und wie?
Ich war für mehr Vielfalt bei den Moderationen. Und ich wollte als Rentner Dombrowski nicht ständig allein den Krawallbruder machen. Immer nur am Ende der Sendung draufhauen – das wird dieser Figur, die ich einst für längere Bühnenauftritte entwickelt habe, auf Dauer nicht gerecht. Außerdem hätte ich gerne mehr auf die Unterschiedlichkeit von Bruno Jonas, Mathias Richling und mir gesetzt und da und dort auch mal Überraschungen eingebaut.
 
Konnten Sie sich nicht durchsetzen?
Meine Kabarett-Kollegen und die Redaktion vertraten andere Meinungen als ich. Auch mein Vorschlag, statt nur einen Gast künftig zwei Gäste einzuladen – um den Zuschauern zum Beispiel auch weniger bekannte Nachwuchskabarettisten einmal vorzustellen – fand keine Gegenliebe. Man kann sogar sagen: Er wurde rundum abgelehnt.
 
Und nun geben sich Ihre Kollegen ob Ihres Ausstiegs äußerst überrascht. Mathias Richling sagt, es habe „nie ernsthaft Streit“ gegeben. Bruno Jonas erklärte, Sie hätten dem Team die „genauen Gründe“ für Ihre Entscheidung nicht mitgeteilt. Richtig?
(Lacht.) Das kann man wirklich nicht so stehen lassen. Nachdem ich mein Konzept unterbreitet hatte, gab es zunächst sehr heftige Auseinandersetzungen. Irgendwann legten die Kollegen mir nahe, ich könnte ja gehen und fortan nur noch als Gast auftreten. Also bin ich gegangen. Es war keine leichte Entscheidung für mich. Aber es gibt Menschen, die sagen, dass ich jünger aussehe, seitdem ich sie getroffen habe.
 
Nach Dieter Hildebrandts Abgang nahmen Jonas und Richling sehr viel Platz im Scheibenwischer ein. Sie hingegen fungierten mehr als so eine Art polternde Randfigur.
Ich hatte meist erst am Ende der Sendung meinen großen Auftritt. Aber so etwas muss kein Nachteil sein, im Gegenteil. Er darf nur nicht zum Stereotyp verkommen.
 
Man könnte ja auch sagen: Hildebrandt hat nach Jonas und Richling einst auch den Schramm auf seinen Hof geholt. Und jetzt, wo der Vater gegangen ist, gibt es Streit um sein Erbe.
Da möchte ich mich lieber Dieter Hildebrandt anschließen, der sagte: „Der Scheibenwischer ist kein Erbhof.“ Gefühlsmäßig geerbt habe ich aber den Auftrag, den Scheibenwischer als eine klar politisch definierte Unterhaltungssendung fortzuführen. Wissen Sie, der Scheibenwischer ist nach dem Wort zum Sonntag und der Tagesschau die älteste noch existierende Sendung in der ARD. Er ist eine Marke wie Tempo oder Uhu. Und was hat die Anstalt mit dieser Marke gemacht? Man hat mit Hildebrandts Abgang auch den zuständigen Redakteur und den Regisseur entfernt. Also wollte man von dieser Seite wohl eine neue Sendung kreieren.
 
In der das Team nicht harmonierte?
Ein befreundeter Kabarettist beherzigt für sich selbst die Regel: Drei Künstler – das geht schief. Da sind immer zwei gegen einen. Man fährt ja auch nicht zu dritt in denUrlaub.
 
Reiben sich die Redakteure beim BR und den RBB jetzt nicht die Hände, dass Sie gehen? Ihre Figuren sagen Sätze wie „Wir brauchen mehr Idioten, damit sie mehr Gammelfleisch essen.“ Sie sprechen von „Urnenpöbel“ und diskutieren, ob man besser Ackermann oder Sabine Christiansen aus dem Weg schaffen sollte. Das ist doch eher unbequem für das öffentlich-rechtliche Fernsehen.
Ich habe nicht den Eindruck, dass die Redaktionen jetzt zufriedener sind. Andererseits habe ich es auch nicht erlebt, dass die Redakteurinnen sich dafür einsetzten, dass wirklich heiße Eisen angepackt wurden. Man fand, dass die Sendung – so wie sie jetzt ist – besser nicht sein könnte. Und die Quoten stimmen ja auch. Weit über zwei Millionen Zuschauer um elf Uhr abends, da kann man nichts sagen.
 
Vielleicht warteten die Menschen nur auf den Auftritt von Georg Schramm. Welche politischen Auseinandersetzungen hätten Sie denn gerne im Programm gehabt?
Beispiel Mohammed-Karikaturen. Da hätten wir uns doch draufstürzen müssen, weil so ein Thema uns Kabarettisten generell angeht. Karikaturen sind ja nichts anderes als das, was wir kabarettistisch zuspitzen. Das hätte eine volle Breitseite werden müssen – ist aber leider nicht passiert. Am Ende gab es nur eine Alibi-Erwähnung. Mehr nicht. Das kann doch nicht sein. Oder, als Beispiele: dass ein Konzert von Konstantin Wecker in Ostdeutschland wegen Drohungen von Neonazis abgesagt wurde. Aus dem selben Grund hatte der türkische Schauspieler Serdar Somuncu seine satirische Lesung aus „Mein Kampf“ als geschlossene Veranstaltung abhalten müssen. Meine Wunschvorstellung wäre es, gerade auch solche Leute kurzfristig und aktuell in die Sendung zu holen.
 
Richling sagt: „Wir dürfen nicht nur auf die Leute dreinschlagen. Es muss auch mal eine leichtere Brise wehen.“ Haben Sie zu viel geschlagen?
So eine Sendung lebt von Brisen und Schlägen. Die Schäuble-Parodie von Mathias Richling Anfang des Jahres war scharf, gut und nah an der Schmerzgrenze. Das war einfach großartig. So etwas wünsche ich mir. Wenn allerdings dauerhaft und voraussehbar immer nur einer als Schläger agiert und die Anderen als Brise, dann wird es irgendwann auch den Zuschauern langweilig. Dann verliert Kabarett an Biss.
 
Ihre Figuren, Herr Schramm, gehören zum kompromisslosesten und direktesten was es derzeit im deutschsprachigen Kabarett gibt. Sie kämpfen gegen Oberflächlichkeit und Heuchelei an. Kann es sein, dass das Fernsehen für Sie das falsche Medium ist?
Vielleicht. Ich habe ja nicht annähernd die Souveränität eines Harald Schmidt. Schmidt geht mit dem Fernsehen um, nicht das Fernsehen mit ihm. Das ist bei mir anders. Auf der Bühne fühle ich mich wohler. Aber an viele Menschen kommt man eben nur über das Fernsehen heran.

Ihre Figuren haben teilweise geradezu missionarische Züge, sind sehr moralisch angelegt.
Ja. Sie müssen mir aber auch zugestehen, dass sie einen gewissen Unterhaltungswert haben. So Predigerfiguren können ja auch eine ungeheure Spannung erzeugen. Der missionarische Eifer in seiner Ausweglosigkeit ist ein ganz wichtiger Bestandteil für die Figur Dombrowski. Er merkt ja, dass es nichts bringt. Deshalb ereifert er sich immer mehr und ist für Argumente nicht mehr zugänglich.

Meinen Sie, man wird Ihnen noch einmal eine Sendung anbieten?
Ich kann mir ein Leben ohne das Fernsehen sehr gut vorstellen. Auf der anderen Seite sagen Bekannte zu mir: Wenn man so etwas kann wie Du, dann hat man auch eine gewisse Verpflichtung. Wir werden sehen.

Bruno Jonas zeigt sein Talent unter anderem beim Münchner Starkbieranstich als Bruder Barnabas. Anschließend lässt er sich mit der Polit-Prominenz foto- grafieren. Wie viel Nähe verträgt Kabarett?
Da muss man sich entscheiden. Entweder man macht so etwas mit, oder man macht es eben nicht. Bruno Jonas gibt den Barnabas ohne jeden Zweifel hervorragend. Ich meine: Als Kabarettist, aber auch als Journalist sollte man sich von bestimmten Personen eher fernhalten.

An der großen ARD-Kabarett-Gala Anfang Juni möchten Sie, Herr Schramm, nicht teilnehmen. Der Spaßmacher Wolfgang Stumph hingegen wird wohl mit dabei sein.
Wenn Kabarettisten eine Gala veranstalten, dann muss es eigentlich darum gehen, das Prinzip Gala zu zerstören. Was ist schon eine Gala? Ich jedenfalls bin Anfang Juni verhindert.

Dass der ehemalige politische Kabarettist Harald Schmidt heute viel Geld verdient – beispielsweise indem er Werbung für Pharmaprodukte oder löslichen Kaffee macht, dass er sich neben Sabine Christiansen oder Waldemar Hartmann ins Studio setzt: Ist das Verrat an der Sache oder geht das in Ordnung?
Ich weiß ja nicht, was Schmidt mit dem Geld macht. Man kann mit Geld Gutes tun oder viel Unsinn anrichten. Würde sich Schmidt rar machen, dann hätten seine Auftritte einen ganz anderen Biss. Außerdem kann man meines Erachtens nicht gleichzeitig Werbespots drehen und zugleich Menschen, die Werbung machen, anprangern. Ich kann ja auch nicht als Dombrowski die Talkshows von Beckmann oder Kerner in Grund und Boden stampfen – und anschließend als Georg Schramm bei Beckmann oder Kerner auftreten. Das geht einfach nicht. So etwas habe ich nie getan und das werde ich auch niemals tun.

Nun verlassen Sie nach sechs Jahren dennoch den Scheibenwischer. Keine Chance, dass Sie sich Ihren Schritt noch einmal überlegen?
Seit langem plagt mich der Albtraum, dass ich auf die Bühne muss – ohne damit einverstanden zu sein, was ich dort mache. Ich bin jetzt 57 Jahre alt und habe es bis jetzt geschafft, immer mit meiner Arbeit einverstanden gewesen zu sein. In diesem Zustand würde ich gerne noch ein bisschen bleiben. Mir geht es dabei gut. Machen Sie sich keine Sorgen.

Interview mit Martin Zips für die Süddeutschen Zeitung | Ausgabe 24. Mai 2006